Leistung und Alter                                                         
Bernd Paschel, Klaus Wirth

Institut für Sportwissenschaft
der J. W. Goethe-Universität
Ginnheimer Landstr. 39
60487 Frankfurt

 

Ein Mythos gerät ins Wanken!

88 % aller 70-80-Jährigen und 66 % der über 90-Jährigen kommen in ihrem Lebensalltag ohne fremde Hilfe aus, über 90 % leben Zuhause. In dem Projekt Frame (Freizeitmobilität älterer Menschen) der Universität Bonn wird festgestellt, daß die landläufige Meinung vom Dahinsiechen und der Hilfsbedürftigkeit älterer Menschen revidiert werden muß.

Die Gruppe der Älteren nimmt bekanntlich zu. Die heute 50- 60-Jährigen werden in naher Zukunft zunehmend ein wichtiger Faktor in der Freizeitindustrie, die in der Werbung heute noch überwiegend auf die Jugend ausgerichtet ist. Gerade die Gruppe der Kriegs- und Nachkriegsjahrgänge übernimmt einen Großteil der Erbmasse, die in den Jahren des "Wirtschaftswunders" angehäuft wurde und sind deshalb wegen ihrer Zahlungsfähigkeit besonders interessant für die Freizeitindustrie.

Die Gruppe der heute 50-60-Jährigen bringt die Erfahrungen der 68-iger mit und unterscheidet sich, auch wenn sie 68 nicht zur politischen Avantgarde zählte, in ihrem Verhalten deutlich von ihrer Elterngeneration, die durch Krieg und Nationalsozialismus mehr oder weniger geprägt wurden. Ein Verhalten, das sich weniger an gesellschaftlichen Normen orientiert und gesellschaftliche Mythen, u. a. zum Älterwerden, hinterfragt, hat dazu geführt, daß verschiedene Positionen in der soziologischen, psychologischen und medizinischen Forschung mittlerweile revidiert werden mußten.

In ihrem Buch "Mythos Alter"(1993) kommt die amerikanische Psychologin und Soziologin Betty Friedan, die bekannt wurde durch ihren Bestseller "Der Weiblichkeitswahn", zu der Erkenntnis, daß die Aussagen über den Leistungsabbau im Alter überwiegend beruhen auf Querschnittsuntersuchungen, in denen, z. B. 40-Jährige mit 60-Jährigen verglichen werden. Längstschnittuntersuchungen weisen darauf hin, daß Menschen die als 20-Jährige in bestimmter Weise aktiv oder kreativ sind, mit großer Wahrscheinlichkeit im Alter dieses Merkmal behalten und oft nach Abschluß des Berufslebens eine neue kreative Phase haben mit der Gründung einer Selbständigen Firma oder der Entfaltung von Freizeitaktivitäten, die im Berufsleben zu kurz kamen.

Es gibt Phänomene im Alter, die unwidersprochen sind, andere werden korrigiert, z. B. der angebliche Verlust des Kurzeitgedächtnisses im Alter. Das Kleinkind besitzt 150 - 160 Milliarden Gehirnzellen, von denen bis zum Lebensende ca. 50 Milliarden absterben. Der Sportmediziner Wildor Hollmann (2000) konnte nachweisen, daß Gehirnzellen, die mit Bewegungen gekoppelt sind, deutlich weniger absterben und so das Kurzeitgedächtniss länger erhalten bleibt, wenn man im Alter viel Bewegung hat. Die Lerngeschwindigkeit im intellektuellen Bereich scheint abzunehmen, die emotionale Intelligenz, deren Bedeutung in den letzten Jahren wieder mehr erkannt wird, scheint zuzunehmen im Alter. Unter medizinischer Sicht nimmt die Elastizität des Bindegewebes ab, die Beweglichkeit in den Gelenken geht zurück; die Anpassungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems verringert sich, aber die Ausdauerfähigkeit ist bekanntlich bis ins hohe Alter trainierbar.

Wie aktuell ist die sportwissenschaftliche Forschung?

Noch vor 30 Jahren wurde davon ausgegangen, daß ca. ab dem 30. Lebensjahr ein stetiger altersbedingter körperlicher Leistungsabfall eintreten würde. Diese Grenze wurde bis heute immer weiter nach oben korrigiert. Mittlerweile wird aufgrund von Beobachtungen einzelner Sportler vermutet, daß bei entsprechendem Training die Leistungsfähigkeit bis ca. zum 75. Lebensjahr relativ konstant gehalten werden kann und erst dann ein sog. Leistungsknick erfolgt. Neuere Untersuchungen haben auch gezeigt, daß Kraft, bzw. Schnellkraft, sehr gut im Alter trainierbar sind. Die Durchführung eines Krafttrainings mit rel. hohen Trainingsreizen bewirkt sogar die Produktion von Testestoron, das im Alter in der Regel weniger wird. Ein gezieltes Training ersetzt sozusagen Viagra.

Um genannte Thesen zu verifizieren, fehlt es an gezielten Längstschittuntersuchungen. Einige wenige Untersuchungen im Schwimmen (F. Gmünder) und beim Langstreckenlauf (A. Conzelmann) untermauern diese Annahme, wobei eine Kombination aus Ausdauer- und Muskelkrafttraining, wie sie z. B. im Rennradtraining vorkommt, am günstigsten zu sein scheint (Schmidtbleicher). Reines Ausdauertraining, z. B. im Ultralangausdauerbereich, bewirkt eine Abnahme der Kraftkomponente mit gleichzeitiger Zunahme der Bindegewebszellen und dadurch letztlich eine Leistungsminderung im Ergometertest.

Was wollen die Oldies beweisen?

Bei den Radweltmeisterschaften der Senioren starten vereinzelt über 90-jährige, die beinahe täglich ihre 40-50 km trainieren.

Die Anzahl und die Leistungsdichte der radrennenfahrenden Senioren haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Diese Gruppe wird z. T. noch innerhalb der Vereine als eine Gruppe von Verrückten abgetan, die sich sozusagen nicht den Normen gemäß im Alter als Trainer oder ehrenamtliche Funktionäre betätigen, sondern egoistisch ihre eigenen Profilierung betreiben. Zuweilen wird dieses Verhalten erklärt mit dem Versuch, das Alter zu leugnen nach dem Motto "forever young", wobei demonstriert werden soll, daß man noch mit den Jungen konkurrieren kann.

Als Beteiligter dieser Szene nimmt man allerdings wahr, daß diese Seniorenfahrer überwiegend unter sich bleiben und miteinander überwiegend solidarisch konkurrieren. Dabei gibt es natürlich einige Ausnahmen, die durch Doping oder andere unfaire Verhaltensweisen die Szene in Mißkredit bringen.

Festzustellen ist, daß bei den maximal erreichten Wattzahlen auf dem Ergometer die Unterschiede zwischen Amateuren und Senioren nicht sehr groß sind, im Renntempo jedoch können Unterschiede gemessen werden. Z. B. entspricht das Tempo der Senioren beim Bergzeitfahren dem der Jugendlichen, obwohl sie noch nicht die gleichen Kraftwerte haben. Beim Einzelzeitfahren auf flacher Strecke sind die Senioren vergleichbar mit den Junioren und C/B-Amateuren. Anzunehmen ist deshalb, daß der Alterungsprozeß im Herzkreislauf-System zu suchen ist und das Körpergewicht (mit Ausnahmen) im Alter zunimmt, wobei ursächlich hier auch die Ernährung sein könnte.

Interessant wäre auch der Vergleich Senioren - Frauen. Erfahrungsgemäß können leistungsstarke Frauen bei Seniorenrennen durchaus mithalten.

Quereinsteiger gegen Profis!

Einige haben als Jugendliche begonnen und sind fast ohne Pause bis jetzt aktiv; andere sind als Amateur oder Profi gefahren und haben nach einer Pause von teilweise mehr als 15 Jahren wieder angefangen. Dazu kommen Quereinsteiger, die über Radtouristikfahren zum Rennsport gefunden haben. In der letzten Zeit findet man immer mehr Aktive, die aus der A-Klasse direkt mit 41 in die Seniorenklasse einsteigen. Dementsprechend schnell wird in vielen Rennen gefahren, sodaß allein das Mitfahren schon voraussetzt, daß ein umfangreiches und intensives Trainingsprogramm durchgeführt werden muß. Dabei kann man feststellen, daß Fahrer aus der Altersklasse 4 (über 60) immer noch in verschiedenen Rennen unter den jungen 40-Jährigen plaziert sind. Da das Tempo in den Rennen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, ist das um so erstaunlicher und läßt vermuten, daß der Leistungsabbau im Alter bei einem regelmäßigen Training, in dem auch intensive Trainingsreize gesetzt werden, verlangsamt wird oder sogar vorübergehend gestoppt werden kann, obwohl vermehrt freie Radikale entstehen, die bekanntlich die Zellen angreifen. Durch das parallele häufige Training im Grundlagenausdauerbereich wird dieser Effekt bekanntlich kompensiert(R. Eifler).

Die These des Leistungserhaltes gilt nicht für den Höchstleistungsbereich von Profis, sondern für ein mittleres Amateurniveau.

Training nach Plan oder Gefühl?

Für die Untersuchung wurden Athleten befragt, die seit mehreren Jahren erfolgreich im nationalen und internationalen Rennsport sind, u.a. mehrere Welt-, Europa- und Deutsche Meister. Die Anzahl der Senioren, die regelmäßig Ergometertests durchführen ist zu gering, um statistisch abgesicherte Aussagen zu treffen. Die subjektive Beobachtung von Fachleuten im Rennsport über Jahre bestätigt allerdings obige Wahrnehmungen.

Das Trainingspensum erfolgreicher Senioren im Jahr liegt bei 12ooo bis 30ooo km im Jahr. Die Art des Trainings variiert in Abhängigkeit vom Trainingsumfang. Fahrer mit weniger Jahreskilometern trainieren mehr Intervalle im GA 2-und EB-Bereich. Die Mehrzahl trainiert nur nach Gefühl oder läßt die Erkenntnisse aus der Leistungsdiagnose als Steuergröße im Training mit einfließen, vertrauend auf das langjährige Wissen über die Wirkung ihrer Trainingsmittel.

Nur einer der befragten Fahrer (30ooo km) trainiert primär nach Trainingsplan auf der Grundlage seiner ergometrischen Leistungsdiagnose.

Bei der Überprüfung der Leistungsentwicklung über mehrere Jahre bei den befragten Fahrern ist eindeutig die Tendenz feststellbar, daß die Werte beim Ergometertest sehr stabil sind. Das gilt für verschiedene Parameter, wie Watt in verschiedenen Laktatstufen, Maximalbelastung und sogar eine rel. konstante maximale Herzfrequenz liegen vor. Letzteres ist besonders erstaunlich, da im allgemeinen von der Formel 220-Lebensalter ausgegangen wird. Die befragten Personen bejahten alle ein konstantes Training auf hohem Niveau über mehrere Jahre. Krankheiten, die zu Pausen führten, wurden nicht genannt. Selten führten Stürze zu Zwangspausen.

Statistische Probleme treten auf, wenn die Untersuchungen auf unterschiedlichen Ergometern vorgenommen wurden, die nicht gleich geeicht sind. Z. B. haben Untersuchungen auf der Schoberer Kurbel zu niedrigeren Werten geführt als auf gängigen Ergometermodellen. Unterschiedliche Wattstufen von 20-50 Watt führen vor allen Dingen in der Maximalstufe zu deutlichen Unterschieden. Interessant, aber nicht weiter verfolgt, wurde das Ergebnis von drei Fahrern, die als Amateure sehr erfolgreich waren. In der maximalen Wattleistung konnten sie als Senioren noch immer nahezu die gleichen Werte erzielen.

Wie geht’s weiter?

Vergleichbare Phänomene treten auch in anderen Sportarten auf. Martina Navratilova gewinnt mit 46 Jahren bei den Australian Open ein Grand Slam im gemischten Doppel. Im Rahmen der Untersuchung wurde unter anderem an der Leistungsentwicklung einer 53-jährigen Fechterin und einer 66-jährigen Schwimmerin, die beide mehrfache Deutsche- und Weltmeister bei den Seniorinnen sind, die Tendenz einer konstant oder nur leicht abfallenden Leistungsentwicklung nachgewiesen. Da es sich hier vom Anforderungsprofil her um relativ unterschiedliche Sportarten handelt, wäre eine weitergehende Diskussion interessant.

Seniorensportler, nicht nur Spitzensportler, die über Jahre ein Training von mehr als 6 Stunden/Woche durchführen und Vergleichsgrößen für ihre Leistungsentwicklung haben, werden um Kontaktaufnahme gebeten.

 

Literatur:
B. Friedan: Mythos Alter, Reinbeck 1995
www.zem.uni-bonn.de/PROJECTS/FRAME/frame.htm:
Freizeitmobilität älterer Menschen 2003
L. Müller, H. Petzold: Gerontherapie in Integrative Therapie (Zeitschrift) 1/2002
F. Gmünder: Leistungsfähigkeit im Schwimmen und Alter II, Zürich 2002
D. Schmidtbleicher: Entwicklung der Kraft und der Schnelligkeit. In J. Baur, K. Bös. K. & R. Singer: Motorische Entwicklung, Schorndorf 1994
A. Conzelmann: Wettkampfsport in der zweiten Lebenshälfte, Köln 1993
R. Eifler: Sportmedizinisches Institut FFM, Gesprächsnotiz, 19.3. 03
W. Hollmann, 3sat, quivive, 11.02.2000